Digital Design - Produktentwicklung mit Nutzerfokus
Digital Design
Die erfolgreiche Digitalisierung steht in engem Zusammenhang mit dem Entwickeln bedarfsgerechter Softwareprodukte. Mit ihr geht eine digitale Transformation unserer Arbeits- und Lebenswelten einher und fordert die Entwicklung von Softwareprodukten, die eben diese Welten vereinfachen sollen. Meist sind digitale Produkte eher technologiezentriert aufgebaut und am Endnutzer vorbei konzipiert. Obwohl jene Produkte in der Lage wären mehr zu leisten, als der Endnutzer vorgibt, liegt es an der unzureichenden Nutzerorientierung, dass solche Produkte weit hinter ihren Möglichkeiten bleiben. Das Hauptproblem dabei ist, dass wir Menschen unsere Vorstellungen lediglich vage ausdrücken können, um vorzugeben, was das digitale Produkt können muss, damit wir es sinnvoll nutzen können. Diese Situation hat die von der Bitkom e.V. gegründete Task-Force „Software-Gestalter“ erkannt und entwickelte daraus eine Initiative für eine neue Disziplin, genannt Digital Design.
Digital Design verfolgt als kreativer, ganzheitlicher Ansatz das Ziel den gesamten Menschen in den Fokus zu rücken, neue Möglichkeiten zu offenbaren und dabei sämtliche Aspekte wie Nutzerfreundlichkeit, Ästhetik, Langlebigkeit oder Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung zu berücksichtigen und zu antizipieren. „Design“ betrifft in diesem Kontext allerdings nicht nur die visuelle Gestaltung eines Produktes, sondern eben auch weitere kreative Themen wie u. a. die Softwarearchitekturgestaltung. (1) Es setzt auf Rollen, Methoden und Frameworks auf und vereint verschiedene Disziplinen und Kompetenzfelder, die uns bereits aus der agilen Produktentwicklung bekannt sind. Es ermöglicht uns neue Potentiale und Chancen zu erkennen, auszuschöpfen und somit das Nutzererlebnis zu maximieren.
Die IREB e.V. nahm sich des Themas an, definierte Terminologien u. a. für Prozessschritte, Level, Rollen und Artefakte, die an bestehende Terminologien der agilen Welt angelehnt sind und entwickelte passend dazu ein Zertifizierungsformat. In diesem Blogpost stelle ich diese zusammengefasst vor und erweitere sie um die ein oder andere Interpretation des Themas.
Digital Design Professional
Die neue Disziplin wird durch den Digital Design Professional („DDP“) oder Digital Designer vertreten, der als Schnittstelle und Fachexperte zwischen den Stakeholdern sowie dem Umsetzungsteam agiert. (2) In seiner Profession denkt bzw. agiert der DDP rollenübergreifend vereint verschiedene Kompetenzfelder in unterschiedlichen Ausprägungen:
- Design-Kompetenzen
- Digital-Kompetenzen
- Querschnittskompetenzen.
Der DDP zeichnet sich in seiner Expertise durch einen Dreiklang dieser Kompetenzfelder aus und ist durch seine Querschnittskompetenzen in der Lage, die Experten innerhalb eines Umsetzungsteams zusammenzuführen und zu unterstützen.
Digital Design Kompetenzfelder
Wie zuvor erwähnt, vereint Digital Design verschiedene agile Methoden und Disziplinen und soll als ganzheitlicher Ansatz der Produktentwicklung betrachtet werden. Im Fokus steht der DDP, der Design-, Digital- und Querschnittskompetenzen in einer Person verkörpert. Doch was verbirgt sich hinter diesen Kompetenzfeldern?
Nach meiner Interpretation des Themas könnten einige Fähigkeiten, Kenntnisse und Kompetenzen einzelnen Kompetenzfeldern zugeordnet werden.
Beispiele:
- Design-Kompetenz: User Experience Design
- Digital-Kompetenz: branchenspezifisches Know-How
- Querschnittskompetenz: Servant Leadership, Management 3.0
Aus meiner Sicht ist es aber auch so, dass Design-, Digital- und Querschnittskompetenzen ineinandergreifen und aufeinander aufbauen: Manche Fähigkeiten oder Themenschwerpunkte lassen sich vielleicht nicht eindeutig zu einem einzelnen Kompetenzfeld zuordnen, sondern verfügen eher über fließende Übergänge.
Beispiele:
- UML-Kenntnisse
- User Story Mapping
- Requirements Engineering
- SQL-Kenntnisse
- Java-Programmierung
- Cloud
- IT-Security
Welche Kompetenzen muss ein DDP demnach mitbringen? Der DDP sollte wie beschrieben über einen Dreiklang aus Design-, Digital- und Querschnittskompetenzen verfügen. Wie sich diese im einzelnen verteilen und welche Schwerpunkte konkret dahinter stehen, ist meiner Auffassung nach je nach Branche oder Projektumfeld unterschiedlich und individuell. Da Digital Design den Nutzer in den Fokus rückt sind UX-Kenntnisse aus meiner Sicht essentiell. Wichtig ist, dass der DDP über genügend Know-How verfügt, um sowohl im Stakeholderumfeld als auch innerhalb seines Expertenteams mitreden zu können.
Methodisches Vorgehen im Digital Design
Digital Design setzt auf bekannten Vorgehensweisen der Produktentwicklung auf. Unser agiles Vorgehen und die daraus entstehenden Artefakte lassen sich auch hier wiederfinden. Die IREB e.V. entwickelte bekannte agile Projektmethoden und bewährte Prozesse weiter und teilt das Vorgehen im Digital Design in übergeordnete Level (3) ein:
- Solutions Level
- System Level
- Element Level
Diese Level enthalten verschiedene Prozessschritte (3) zwischen denen eine iterative Abhängigkeit besteht:
- Scoping
- Konzeption
- Umsetzung- & Betrieb
Im Solutionslevel wird der Rahmen der digitalen Lösung definiert. Teil dieses Levels können beispielsweise Marktanalysen und die Zielgruppendefinition sein. Es umfasst also die Prozessschritte „Scoping“ und „Konzeption“, d. h. den Schritt einer Produktidee zu einer ersten ausformulierten und grob konzipierten Produktvision. Daraufhin wird im System Level der Kundennutzen abgesteckt. Innerhalb des System Levels, werden widerum die Prozessschritte „Konzeption“ sowie „Umsetzung & Betrieb“ vereint. Im Element Level findet hingegen die Abstimmung der technischen Lösung und des Designs statt. In diesem geht es rein um die Umsetzung und den Betrieb der digitalen Produkte.
Dieses Vorgehen ist uns bereits aus der Produktentwicklung bekannt. Wir verstehen diese durch die IREB definierten Level als Abstraktionsstufen der unterschiedlichen Prozessschritte, da sie sich in einer iterativen Abhängigkeit voneinander befinden. Je Level finden sowohl planerische als auch inhaltliche Arbeiten statt, sodass je nach Prozessschritt entsprechende Content- und Prozessartefakte durch den DDP und dessen Umsetzungsteam erarbeitet werden:

Grafik übernommen und angepasst; angelehnt an die Überlegungen der IREB e. V. – Quellen: (3)(4)
Die Grafik stellt eine uns aus unserem Produktmanagement-Alltag bekannte Vorgehensweise sowie die dazu passenden planerischen und inhaltlichen Aktivitäten je nach Digital Design Prozesschritt dar. Neu an diesem Vorgehen ist für uns insbesondere der Einsatz konkreter Digital Design Prozess Artefakte, welche im jeweiligen Schritt aus den Aktivitäten hervorgehen.
In den folgenden Abschnitten werde ich die Grafik näher erklären, indem ich genauer auf die einzelnen Prozessschritte eingehe und planerische und inhaltliche Arbeiten sowie den daraus resultierenden Artefakten hervorhebe.
Scoping
Wie zuvor beschrieben ist das Vorgehen in drei Prozessschritte eingeteilt. Im „Scoping“, dem ersten Prozessschritt, wird beispielsweise ein Element Canvas genutzt, um das Setup für das neue digitale Produkt festzulegen: Es enthält die Marktanalyse, die Zielgruppendefinition und das Geschäftsmodell. Wir kennen bereits ähnliche Ansätze wie das Lean Canvas, die hieran anknüpfen.
Basierend auf den gewonnenen und im Element Canvas zusammengefassten Erkenntnissen kann wie im Produktmanagement eine Roadmap entworfen werden, die aus planerischer Sicht alls erster Releaseplan betrachtet werden kann. Der Releaseplan bildet die Grundlage für das Backlog. Neu sind in diesem Zusammenhang die Prozess Artefakte des Digital Designs: Aus inhaltlicher Sicht entsteht in diesem Schritt der Digital Design Brief, der laut IREB e.V. u. a. Kontext, Vision und Scope zusammenfasst. (5)
Aus meiner Sicht können in diesem Schritt zusätzlich zum Element bzw. Lean Canvas auch Methoden und Frameworks wie Impact Mapping eingesetzt werden, um Kontext, Vision und Scope zu ermitteln.
Konzeption
Das „Scoping“ geht fließend den zweiten Prozessschritt „Konzeption“ über und befasst sich mit dem Ermitteln und Clustern von einzelnen Stories und Epics. Auch dieses Vorgehen hat sich im agilen Produktmanagement bereits bewährt. Dabei steht nach wie vor das Priorisieren der Aufgaben nach Nutzerwert im Vordergrund. Aus planerischer Perspektive entsteht somit ein Epic Board oder die in der agilen Community sehr bekannte User Story Map. Da jedes Produkt und jedes Nutzerbedürfnis individuell sein können, sind je nach Kontext und Produkt aus meiner Sicht weitere Methoden zur Zielerreichung nützlich, wie das Value Proposition Canvas. Die IREB e.V. sieht in diesem Zusammenhang aus inhaltlicher Sicht die Entstehung zweier Artefakte vor: Solution Konzept und System Konzept. (6) Wichtig ist dabei, dass es sich insgesamt um einen iterativen Prozess handelt, sodass sich die einzelnen Prozessschritte immer wieder gegenseitig beeinflussen: Je mehr Erkenntnisse gewonnen werden, desto mehr Feedback fließt bereits im Scoping und der Konzeption ein.
Umsetzung & Betrieb
Nach der Konzeption folgt der dritte Prozessschritt „Umsetzung & Betrieb“. In diesem Schritt ist es weiterhin relevant, dass nach wie vor kontinuierliches Nutzerfeedback auf Basis kurzer Feedbackzyklen in das Vorhaben integriert wird. Wir kennen dieses Vorgehen bereits aus beispielsweise dem Scrum Framework, auf welches ich aus persönlicher Präferenz heraus gerne zurückgreife. Aus planerischer Sicht stellt das System Board ein notwendiges Artefakt dar, um Tasks auf dem Element Level zu visualisieren. Inhaltlich betrachtet, gibt die IREB e.V. die Prozessartefakte „Element Design-, Element-Realisierungs- und Element Evaluations- Konzept“ als Anhaltspunkt und Wegweiser vor. (7)
Prozess-Artefakte
Die folgende Grafik fasst die verschiedenen oben beschriebenen Artefakte, die in den jeweiligen Prozessschritten entstehen noch einmal übersichtlich zusammen:

Grafik angelehnt an die Überlegungen der IREB e. V. – Quellen: (5)(6)(7)
Abgrenzung des Digital Design Professionals zum Product Owner
Ähnlich wie der Product Owner vereint auch der DDP als Fachexperte verschiedene (Design-, Digital- und Querschnitts-) Kompetenzen und stellt somit eine Schnittstellenfunktion im Unternehmen dar. Hinzu kommt, dass viele Methoden, Artefakte & Co. uns durchaus bereits bekannt vorkommen. Gibt es also einen Unterschied zwischen den beiden Professionen? Oder ist der DDP sogar als „Erweiterung“ der Product Owner Rolle zu verstehen?
Aus Scrum-Sicht bringt der Product Owner bereits einen wert-orientierten Fokus mit. Sein Ziel ist es, den Nutzer in den Fokus zu setzen und einen Produktmehrwert für eine Zielgruppe zu schaffen. Dies erkenne ich auch bei der Profession des DDP, der rollenübergreifend denkt und agiert. Allerdings wird aus meiner Sicht die Product Owner Rolle je nach Unternehmen unterschiedlich verstanden und gelebt, denn je nach Produkt und Markt werden unterschiedliche Kompetenzen vorausgesetzt. Einige Product Owner verfügen über einen ausgeprägten Marketing-Schwerpunkt, andere verfügen überwiegend über eine gewisse IT-Affinität; Manche bringen möglicherweise bereits Design-Kompetenzen oder UX-Kenntnisse mit. Die eierlegende Wollmilchsau ist mir persönlich dabei noch nicht begegnet. Unter diesem Aspekt ist die Interpretation beider Professionen vermutlich jedem selbst überlassen. Für mich persönlich stellt der DDP die „Zukunft“ des Product Owners dar: Zur vorhandenen Markt- und IT-Expertise werden zusätzliche Design- und UX-Kenntnisse in einer Person vereint, die widerum in die bedarfsgerechte Produktentwicklung miteinfließen.
Digital Design schön und gut! Und nun?
Digital Design fasst als neue Disziplin viele uns bekannte Themen und Methoden unter einem neuen Titel zusammen, betrachtet diese als ganzheitlicher Ansatz und gibt somit einen Ausblick, in welche Richtung sich die innovative, bedarfsgerechte Produktentwicklung künftig bewegen kann. Ich hoffe, das Thema mittels meines Blogposts überschaubar zusammengefasst und für einige näher gebracht zu haben. Für diejenigen, die mehr erfahren möchten oder sich als Unterstützer outen möchten, empfehle ich das Digital Design Manifest. Sollten Sie Unterstützung zum Thema Digital Design oder Product Ownership suchen, finden Sie weitere Informationen auf unserer Digital Design Webseite sowie auf unserer Product Owner Webseite. Sprechen Sie uns gerne an!
Fazit
- Digital Design ist ein neuer Ansatz der IREB, um das Thema bedarfsgerechte Produktentwicklung neu aufzurollen.
- Digital Design unterstützt uns, den Menschen in den Fokus zu rücken, um das Nutzererlebnis zu maximieren.
- Digital Design setzt auf bekannten Methoden, Frameworks und Tools auf und ergänzt diese um neue Ansätze und Artefakte, um uns einen Wegweiser an die Hand zu geben.
- Der Digital Design Professional stellt eine Schnittstellenfunktion dar, der verschiedene Design-, Digital- und Querschnittskompetenzen vereint.
- Der Digital Design Professional denkt bzw. agiert rollenübergreifend und vereint verschiedene bekannte Disziplinen und Kompetenzen und geht das Thema Produktentwicklung als ganzheitlicher Ansatz an.
- Der Digital Design Professional könnte somit als eine erweiterte Form des agilen Produktmanagers bzw. des Product Owners betrachtet werden.
Quellen und Referenzen
(1) vgl. Rollenideal „Digital Design“: Erfolgreiche Digitalisierung und Digitale Transformation erfordern ein Umdenken in der Softwareentwicklung. Bitkom e.V. Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V., Berlin, 2017, S. 5 – 8.
(2) vgl. The Digital Design Professional: Syllabus for the Foundation Level. Version 1.0.0, IREB e.V., 18.02.2021, S. 14 – 19.
(3) vgl. ebd., S. 58 – 69.
(4) Stan Bühne, Dr. Kim Lauenroth: Digital Design Professional – Ein Bausatz für die Gestaltung digitaler Produkte. 23.03.2021. Bitkom akademie, S. 11 – 13.
(5) vgl. The Digital Design Professional: Syllabus for the Foundation Level. Version 1.0.0, IREB e.V., 18.02.2021, S. 19.
(6) vgl. ebd., S. 19 – 20.
(7) vgl. ebd., S. 20 – 21.
Weitere Informationen zum Thema…
- Digital Design Manifest: BitKom e.V., digital-design-manifest.de/
- Digital Design Professional: In a Nutshell DE[03]. V1, IREB GmbH.
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